Bundestagswahl 2025: Evaluation der Wahlprognose
Die Bundestagswahl 2025 ist vorbei und die Ergebnisse stehen fest. Die Parteien haben folgende Stimmanteile erhalten:
Partei | Stimmanteil (%) |
---|---|
SPD | 16.4 |
CDU/CSU | 28.6 |
Grüne | 11.6 |
FDP | 4.3 |
AfD | 20.8 |
Linke | 8.8 |
BSW | 4.9 |
Tabelle 1: Stimmanteile der Parteien
Zum dritten Mal haben wir bei INWT Prognosen für die Bundestagswahl erstellt. Wie gut hat unser Modell am Ende abgeschnitten? In diesem Blogartikel beleuchten wir verschiedene Aspekte unserer Prognose und reflektieren Stärken und Schwächen des Modells. Seit den Bundestagswahlen in 2017 und 2021 hat sich nicht nur politisch einiges geändert, sondern auch unser Modell haben wir kontinuierlich weiterentwickelt. So haben wir die Laufzeit mit Hilfe der Software cmdstanr deutlich verringert und das BSW als neue Partei integriert. Außerdem haben wir ein Koalitionsmodell entwickelt, das Wahrscheinlichkeiten für verschiedene Koalitionen berechnet. Zu den Neuerungen finden Sie weitere Informationen in den FAQs unserer Website. Das neue Koalitionsmodell haben wir hier beschrieben.
Mittlerer Prognosefehler
Abbildung 1: Prognosefehler
Für eine stark aggregierte Evaluation unserer Prognose mitteln wir die absolute Abweichung vom Endergebnis über alle Parteien in Abbildung 1. So lag unsere Prognose im Mittel am Tag vor Weihnachten um 1.9 Prozentpunkte vom Endergebnis entfernt, der Mittelwert der Umfragen dagegen um 2.1 Prozentpunkte. Am Tag vor der Wahl lag der Umfragedurchschnitt bei einem mittleren Fehler von 0.97 Prozentpunkten und unsere Prognose bei einem Prozentpunkt. Diese beiden Beispiele illustrieren, was auch in der Abbildung 1 zu sehen ist: Je nach Zeitpunkt war der Umfragedurchschnitt oder die Prognose besser, hier gibt es keinen eindeutigen Gewinner. Es fällt zudem auf, dass der Prognosefehler über den Sommer etwas gestiegen ist, bevor er wieder gesunken ist. Dies ist stark durch die Prognose für das BSW getrieben, dessen Werte zwischenzeitlich über 8 % lagen. Am Ende schaffte die neue Partei es jedoch nicht über die 5 %-Hürde. Tabelle 2 enthält für die einzelnen Parteien die über die Zeit gemittelten absoluten Abweichungen vom Endergebnis.
Partei | CDU/CSU | SPD | Grüne | Linke | BSW | FDP | AfD |
---|---|---|---|---|---|---|---|
INWT-Prognose | 3.8 | 1.2 | 1.0 | 5.1 | 1.7 | 0.4 | 1.6 |
Umfragedurchschnitt | 2.7 | 0.9 | 1.2 | 5.3 | 1.6 | 0.5 | 2.8 |
Aktuellste Umfrage | 2.5 | 1.0 | 1.2 | 5.2 | 2.1 | 0.6 | 2.7 |
Tabelle 2: Prognosefehler in Prozentpunkten. Über die Zeit gemittelte absolute Abweichungen vom Endergebnis seit 1. April 2024. Dritte Zeile: Zu jedem Zeitpunkt werden auch die absoluten Abweichungen der aktuellsten Umfrage zum Endergebnis berechnet und über die Zeit gemittelt.
Es bestätigt sich der Eindruck aus der Zeitreihe in Abbildung 1. Bei CDU/CSU, SPD, und BSW ist unsere Prognose im Mittel ungenauer als der Umfragedurchschnitt. Für Grüne, Linke, FDP und AfD ist unsere Prognose genauer.
Evaluation der Ereigniswahrscheinlichkeiten
Der entscheidende Mehrwert unseres Modells besteht darin, dass Unsicherheitsintervalle und Ereigniswahrscheinlichkeiten berechnet werden, wie es bei einem simplen Durchschnitt der Umfragewerte nicht möglich ist. Die Ereigniswahrscheinlichkeiten sind in Tabelle 3 aufgelistet. Alle Ereignisse, für die unser Modell eine Wahrscheinlichkeit von mehr als 50% am Vortag der Wahl berechnet hat, sind eingetreten. Darunter fallen Ereignisse wie “Mehrheit für die große Koalition” (74,4 %) und “Linke hat mehr Stimmen als die FDP” (99,8 %). Außerdem sind die Ereignisse mit weniger als 50 % Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten, wie zum Beispiel, dass Schwarz-Grün eine Mehrheit hat (45,9 %) oder dass die FDP in den Bundestag kommt (14,1 %).
Ereignisbeschreibung | Ereigniswk. in Prozent |
---|---|
Mehrheit für "Kenia" (Schwarz-Rot-Grün) | 100.0 |
CDU wird stärkste Fraktion | 100.0 |
Linke bekommt mehr Stimmen als FDP | 99.8 |
Linke kommt in den Bundestag | 99.6 |
Die Grünen kommen in den Bundestag | 99.4 |
AfD wird zweitstärkste Fraktion | 97.3 |
Mehrheit für große Koalition | 74.4 |
Mehrheit für Schwarz-Grün | 45.9 |
FDP kommt in den Bundestag | 14.1 |
Grüne stärker als SPD | 13.7 |
Mehrheit für "Deutschland" (Schwarz-Rot-Gelb) | 12.5 |
Mehrheit für "Jamaika" (Schwarz-Grün-Gelb) | 11.5 |
BSW kommt in den Bundestag | 8.5 |
Mehrheit für Brombeer-Koalition | 7.4 |
Mehrheit für Union-Grüne-BSW | 7.3 |
SPD bekommt mehr als 20% der Stimmen | 0.3 |
CDU/CSU bekommt mehr als 40% der Stimmen | 0.1 |
Mehrheit für "Ampel" (Rot-Gelb-Grün) | 0.0 |
Tabelle 3: Ereigniswahrscheinlichkeiten am Vortag der Wahl, dem 22.02.2025.
Wahrscheinlichkeit für eine schwarz-rote Mehrheit
Abbildung 2: Mehrheit schwarz-rot
Als weiteres Beispiel zeigen wir in Abbildung 2 den zeitlichen Verlauf der Wahrscheinlichkeit, die wir für eine schwarz-rote Mehrheit berechnen. Ob die große Koalition möglich sein würde, war bis zum Schluss nicht klar, da es unter anderem davon abhing, ob kleinere Parteien wie BSW und FDP es über die 5-Prozent-Hürde schaffen würden. In der Grafik ist zu sehen, dass dieser Faktor ab Beginn des Februars 2025 eine starke Rolle gespielt hat, denn hier sinkt die Wahrscheinlichkeit stark ab. Davor gab es ab Dezember 2024 eine Phase, in der CDU/CSU und SPD in der Prognose so stark waren, dass ihre Mehrheit kaum vom Abschneiden von BSW und FDP abhängig war. Insgesamt ziehen wir die positive Bilanz, dass wir die Wahrscheinlichkeit bereits einige Monate vor der Wahl realistisch eingeschätzt haben.
Koalitionsprognose
Abbildung 3: Koalitionswahrscheinlichkeiten
Unsere Koalitionsprognose basiert auf der zuvor erstellten Wahlstimmenprognose und den Informationen dazu, welche Parteien auf Bundes- und Landesebene bereits miteinander koaliert haben. In Abbildung 3 zeigen wir die Koalitionswahrscheinlichkeiten am Vortag der Wahl. Die Top-3-Wahrscheinlichkeiten sehen in Anbetracht der Wahlergenisse plausibel aus. Zum Beispiel wird die Wahrscheinlichkeit für eine Große Koalition auf 36,7 % geschätzt. Es fällt auf, dass die Wahrscheinlichkeit für eine rein rechnerische schwarz-rote Mehrheit zwar mit 74.4 % eingeschätzt wird (siehe Abbildung 3), dies aber nicht gleichbedeutend mit einer ähnlich hohen Wahrscheinlichkeit für die tatsächliche Koalitionsbildung ist. Denn z.B. hat auch das Event “Mehrheit für Schwarz-Grün” eine Wahrscheinlichkeit von 45,9 %, sodass eine solche Koalition durchaus im Bereich des Möglichen liegt. Dies spiegelt sich in den Koalitionswahrscheinlichkeiten in Abbildung 3 wieder. Tendenziell erscheint die Wahrscheinlichkeit für eine Koalition aus CDU/CSU, Grünen und der Linken mit 10,3 % eher hoch, wenn man bedenkt, dass die CDU eine Koalition mit der Linken bisher kategorisch ausgeschlossen hat. Möglicherweise wird dieses Modellergebnis davon getrieben, dass zumindest Grüne und Linke schon miteinander koaliert haben, wie z.B. in der vergangenen rot-rot-grünen Koalition in Thüringen. Das Modell arbeitet rein datenbasiert und berücksichtigt keine Aussagen von Parteien.
Prognosen für einzelne Parteien
Nun betrachten wir die Prognosen für einzelne Parteien über die Zeit. Die Grafiken für alle Parteien können im Kasten weiter unten aufgeklappt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass wir erst ab dem 13.11.2024 Prognosen für den neuen Wahltermin am 23.02.2025 erstellt haben - nach dem Bruch der Ampel. Davor beziehen sich die Prognosen noch auf den ursprünglich angesetzten Termin vom 28.09.2025. Dies lässt sich zum Beispiel in Abbildung 1 für die Linke am Unsicherheitsband erkennen, welches nach dem November schmäler wird. Der zeitliche Abstand zwischen Prognosedatum und Wahltag hatte sich durch die vorgezogene Wahl deutlich verringert, was auch die Prognoseunsicherheit kleiner werden lässt. Die Unsicherheitsbänder in den Abbildungen geben an, in welchem Intervall das Endergebnis mit 95% Wahrscheinlichkeit liegen wird. In den Abbildungen für die einzelnen Parteien ist zu sehen, dass die Endergebnisse für alle Parteien zu jedem Zeitpunkt innerhalb der 95%-Vertrauensintervalle liegen, außer für die Linke. Am Tag vor der Wahl (dem letzten Prognosetag) liegt das wahre Ergebnis (8.8 %) knapp außerhalb der oberen Grenze des Unsicherheitsintervalls (8.78 %). Wenn vereinfacht angenommen wird, dass die Stimmanteile unabhängig voneinander sind, ist zu erwarten, dass 5% von 7, also für weniger als eine Partei der Stimmanteil außerhalb des 95%-Vertrauensintervalls liegt. Dies erfüllt einen Plausibilitätscheck, dass unser Modell die Unsicherheit valide einschätzt und die Intervalle weder wesentlich zu breit noch zu schmal sind. Welche Parteien waren besonders schwierig zu prognostizieren? Gerade die Linke hat in den letzten Wochen vor der Wahl starke Zugewinne in der Prognose verzeichnet. In der Abbildung 4 ist zu sehen, dass ihr Ergebnis zwischen August 2024 und Januar 2025 noch stark unterschätzt wurde, um 5 bis 6 Prozentpunkte.
Abbildung 4: Prognose für die Linke
Auch der Stimmanteil der AfD wurde unterschätzt, wenn auch weniger stark mit einem Fehler von 2 bis 3 Prozentpunkten im August 2024 (siehe Abbildung 5). Am Beispiel der AfD zeigt sich ein Vorteil unseres Modells, das den AfD-Stimmanteil schon frühzeitig deutlich genauer eingeschätzt hat, als ein simpler Durchschnitt der Umfragen. Dies lässt sich damit erklären, dass in der Modellformulierung antizipiert wird, dass der Effekt von politischen Ereignissen oft nur kurzfristig wirksam ist. In diesem Fall wird in den Prognosen antizipiert, dass der Skandal um den Begriff der “Remigration” die Partei nur kurzfristig Stimmen gekostet hat. Tatsächlich hat sich der Effekt des Skandals von Anfang 2024 bis zur Wahl weitgehend egalisiert.
Abbildung 5: Prognose für die AfD
Dennoch lässt sich insgesamt festhalten, dass unser Modell die Stärkung der politischen Ränder in diesem Ausmaße unterprognostiziert hat. Auffällig ist auch, dass der Stimmanteil der CDU/CSU bis zum Ende als zu hoch eingeschätzt wurde. Im nächsten Abschnitt diskutieren wir, wie wir unser Modell weiter verbessern können.
Ausblick
Eine Idee zur Verbesserung des Koalitionsmodells ist es, die Modellierung der Zusammenarbeit mehrerer Parteien anzupassen. Dies ist dadurch motiviert, dass wir die Wahrscheinlichkeit für die Koalition “CDU-Grüne-Linke” als tendenziell zu hoch prognostiziert empfinden, gegeben, dass es eine Koalition zwischen CDU und Linken auf Landes- oder Bundesebene bisher nicht gegeben hat. Zudem könnte das Modell im Hinblick auf Extremereignisse angepasst werden, sodass das kurzfristige Erstarken der Linkspartei vor der Wahl besser abgebildet werden kann. Nicht zuletzt wäre es gut, zu evaluieren, warum die CDU/CSU von uns meist überschätzt wurde im Vergleich zu den Umfragedurchschnitten. Unser Modell ist grundsätzlich bereits dazu in der Lage, die Partei-spezifischen Verzerrungen der Umfrageinstitute abzubilden. Für die Union hat dies jedoch nur unzulänglich funktioniert. Dies könnte eine Stellschraube sein, um das Modell zu verbessern.
Zusammenfassung
Auffällig am Wahlergebnis ist die Stärkung der politischen Ränder. Der Stimmanteil der AfD und Linken ist stark gewachsen im Vergleich zur letzten Bundestagswahl. Für die AfD hat unser Modell dies gut prognostiziert, die Linke dagegen eher unterschätzt. Eine aggregierte Evaluation unserer Prognose für die Stimmanteile der Parteien zeigt, dass die Modellprognose im Vergleich zum reinen Umfragedurchschnitt eine ähnliche Genauigkeit aufweist. Damit liegt der Mehrwert des Modells vor allem in der Berechnung von Unsicherheiten und Ereignis-Wahrscheinlichkeiten. Die berechneten Wahrscheinlichkeiten von Ereignissen wie einer Mehrheit von Schwarz-Rot decken sich mit Eintritt oder Nicht-Eintritt der Ereignisse bei einem Evaluations-Cutoff von 50 % Wahrscheinlichkeit. Als neues Feature ist unser Koalitionsmodell dem Wahlstimmenmodell nachgeschaltet und beschäftigt sich mit der spannenden Frage, wer die neue Regierung stellen wird.