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Mehr Daten = bessere Prognose?

Klassisches Marketing und Online Marketing muten fast wie zwei gegensätzliche Welten an: Während im klassischen Marketing – mit wenigen Ausnahmen – Daten eine Mangelware darstellen und sich nur größere Unternehmen teure Marktforschung leisten konnten, sitzen selbst kleine Startups auf Bergen an Daten. Die Datenmenge wächst oft so schnell, dass den Unternehmen das Knowhow zur Auswertung fehlt. Obwohl die Daten kaum genutzt werden, herrscht die Meinung vor, dass oft nur "ein wenig Data Mining" nötig ist, um nahezu alle Fragen beantworten zu können. Und wenn dies einmal nicht gelingt, sind schnell zu wenige Daten als Ursache ausgemacht.

Unbestritten ist, dass im Online Marketing deutlich mehr Informationen über den (potenziellen) Kunden vorliegen, als dies im klassischen Marketing üblicherweise der Fall ist:

  • IP-Adresse (Geoinformation, DSL-Anbieter)
  • Endgerät, Betriebssystem, Browser, Spracheinstellung, …
  • Kontaktkette (ggf. Impressions und Klicks: Creative/Keyword, Datum, Uhrzeit)
  • Analytics-Daten (Navigation auf der Landing Page, ggf. Heatmap)
  • Conversion inkl. deren Vorbereitung (Items to Basket, Payment, …)

Cockies und erweiterte Tracking- und Fingerprinting-Verfahren ermöglichen dabei eine immer zuverlässigere Wiedererkennung des Nutzers auch über mehrere Sessions hinweg. Anbieter wie Facebook oder Google sowie Betreiber größerer Shops mit vielen registrierten Mitgliedern können Personen z.T. über verschiedene Endgeräte hinweg anhand ihrer Login-Daten verfolgen. Facebook und Google gelingt über Like- bzw. +1-Bottons selbst die Verfolgung von Nutzer und Nicht-Nutzern auf fremden Seiten. Werbenetzwerke verfolgen ähnliche Ansätze, haben jedoch eine begrenztere Reichweite. Mit Hilfe dieser Daten lässt sich eine Fülle von Hypothesen testen. So könnte man z.B. Kunden, die Mac OS X verwenden, eine Präferenz für Lifestyle-Produkte unterstellen und Android-Usern eher technisch innovative Produkte empfehlen. Doch was tragen die Daten wirklich zum Verständnis des Kaufprozesses bei?

Chancen und Grenzen im Online Marketing

Wie weit die Erwartungen gehen, illustriert der Hype um das Thema Customer Journey. Hinter dem Begriff steckt nicht viel weniger als der Anspruch, ein Werbewirkungsmodell zu entwickeln, welches jedem Kontakt auf dem Pfad zum späteren Kauf einen Wert beimisst. In der Konsequenz wird eine effizientere Allokation des Marketing-Budgets möglich. Ausgaben für ineffektive Kanäle können reduziert werden und zugunsten effektiver Kanäle umgeschichtet werden. Aus der Perspektive des klassischen Marketing ist (und bleibt) dies ein Traum. In einem Standardwerk zum Thema Käuferverhalten kommen die Autoren zu folgendem Fazit:

Es ist beim heutigen Stand des Wissens einfach noch nicht möglich, komplexe Systeme wie das Kaufverhalten in einem einzigen Modell so abzubilden, dass umfassende, empirisch validierbare Erklärungen entstehen (Kroeber-Riel u.a., 2009).

Steht diese Aussage im Widerspruch zu den Erwartungen an Attributionsmodelle oder Real-Time-Bidding (RTB) Algoritmen? Nein, denn in beiden Bereichen geht es letztlich darum, bessere Entscheidungen auf hochaggregierten Daten zu treffen. Die Modelle sind im Falle einer einzelnen Kaufentscheidung zwar weit davon entfernt, diese perfekt zu verstehen. Attribution erfolgt jedoch auf tausenden von Customer Journeys und auch im Real-Time-Bidding werden hochfrequent Entscheidungen getroffen. Jede Verbesserung des Modells schlägt sich unmittelbar in einer verbesserten Gesamtperformance nieder. So lässt sich durch einen fundierten RTB-Algorithmus ein Zuwachs an Conversions um 20% und mehr erzielen.

Wo liegt der Schlüssel zur Verbesserung der Modelle?

Die reflexartige Antwort auf diese Frage lautet häufig: Mehr Daten! Unsere Erfahrung aus zahlreichen Projekten geht jedoch in eine andere Richtung. Nicht mehr Daten, sondern bessere Daten und neue Hypothesen über das Kaufverhalten sind der Schlüssel.

Auch ein Blick über den Tellerrand zum klassischen Marketing legt diese Antwort zumindest nahe. Eine nicht-repräsentative Liste von Veröffentlichungen gibt einen Überblick darüber, welche Faktoren im klassischen Marketing zur Erklärung der Kaufentscheidung herangezogen wurden:

  • Eye-Tracking zur Messung des Involvements (Chio et al. 2012)
  • Experiment & Befragung zum Effekt von Informationsüberlastung (mit/ohne Filtermechanismen) bei Online-Shops auf die Kaufentscheidung, R² < 10% (Chen et al. 2009)
  • In-Store-Experiment zur Platzierung und Präsentation von Waren; Scannerdaten, Beobachtung, Befragung; kein signikanter Einfluss auf den Verkauf (Sigurdsson et al. 2011)
  • Experiment zum Einfluss der Präsentation, Sortierung und Filterung von Listen mit Alternativen bei der Auswahl von Hotels; R² < 35% (Diehl/Zauberman 2005)
  • Untersuchung des langfristigen Effekts von Promotions für 25 Produkte in 4 Ländern; personalisierte Scanner-Daten aus Haushalts-Panels (GfK für Dtld.) (Ehrenberg et al. 1994)
  • Einfluss von Hintergrundmusik und dem Einsatz von Duftstoffen in einer Mall auf die erzielten Umsätze; Befragung von Konsumenten; 2% ≤ R² ≤ 9% (Morrin/Chebat 2005)

Es zeigen sich viele Analogien hinsichtlich der Daten: An die Stelle der sehr genauen Eye-Tracking-Verfahren treten im Online Marketing Heatmaps, die aus der Bewegung des Mauszeigers generiert werden. Im klassischen Marketing werden Kundenkarten (z.B. Payback) genutzt, um mehrere Einkäufe einem Kunden zuordnen zu können. Testmärkte wie z.B. in der Gemeinde Haßloch liefern dem Betreiber (GfK) personenbezogene und kanalübergreifende Daten zu Kontakten und Einkäufen. Im Online Marketing ist dies die Aufgabe der Tracking- und Fingerprinting-Verfahren.

Es bleibt die Erkenntnis, dass die Person, die im Online Marketing hinter dem Monitor sitzt, die gleiche (oder sogar dieselbe) ist, mit der sich das klassische Marketing seit Jahrzeiten auseinandersetzt. Daten leisten einen entscheidenden Beitrag dazu, das Kundenverhalten zu verstehen und auch vorherzusagen. Das Sammeln dieser Daten ist im klassischen Marketing – anders als im Online Marketing – mit erheblichem Organisations- und Mittelaufwand verbunden. Dennoch stehen im Online Marketing kaum grundsätzlich neue Daten zur Verfügung. Die einfache Verfügbarkeit der Daten im Online Marketing geht häufig mit einer schlechteren Datenqualität einher. Und hier ist noch viel Luft nach oben: Durch eine systematische Verbesserung der Datenerhebung lässt sich die Qualität der Daten deutlich verbessern - mit unmittelbaren positiven Folgen für die erzielbare Modellgüte. Ebenso ergiebig ist die Auseinandersetzung mit den Kunden und den Besonderheiten des eigenen Geschäftsmodells. Dabei entstehen regelmäßig Erkenntnisse, die die Modelle verbessern und man stößt auf neue Metriken, die mehr erklären als der von einem Kunden genutzte Browser oder die über die IP-Adresse ermittelte Geo-Location.

Quellen:

  • Chen, Yu-Chen/Shang, Rong-An/Kao, Chen-Yu (2009): The effects of information overload on consumers' subjective state towards buying decision in the internet shopping environment, Electronic Commerce Research and Applications, 8 (2009), 48-58
  • Chio, Do Young/Hahn, Min Hee/Lee, Kun Chang (2012): A Comparison of Buying Decision Patterns by Product Involvement: An Eye-Tracking Approach, Lecture Notes in Computer Science, 7198/2012, 37-46
  • Diehl, Kristin/Zauberman, Gal (2005): Searching Ordered Sets: Evaluations from Sequences under Search, Journal of Consumer Research, Vol. 31, March 2005, 824-832
  • Ehrenberg, A. S. C./Hammond, Kathy/Goodhardt, G. J. (1994): The after-effects of price-related Concumer Promotions, Journal of Advertising Research, July/August 1994, 11-21
  • Kroeber-Riel, Werner/Weinberg, Peter/Gröppel-Klein, Andrea (2009): Konsumentenverhalten, 9. Auflage, Vahlen
  • Morrin, Maureen/Chebat, Jean-Charles (2005): Person-Place Congruency – The Interactive Effects of Shopper Style and Atmospherics on Consumer Expenditures, Journal of Service Research, Vol. 8, No. 2, 181-191
  • Sigurdsson, Valdimar/Larsen, Nils Magne/Gunnarsson, Didrik (2011): An instore experimental analysis of consumers' selection of fruits and vegetables, The Service Industries Journal, 31:15, 2587-2602