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Verstehen wie unsere Kunden Kauf­entscheidungen treffen: Discrete Choice-Modelle im Marketing

In unserem Artikel zu Marketing Mix Modeling haben wir Ihnen die Vorteile einer datengetriebenen Analyse und statistischen Modellierung Ihres Marketing-Mixes näher gebracht. Im Bereich des Marketing Mix Modeling kommen multivariate ökonometrische Zeitreihenmodelle zum Einsatz, die es erlauben, Stärken und Schwächen eines Marketing-Programms zu identifizieren und den richtigen Mix an Werbemaßnahmen zu bestimmen, um das Return of Investment zu maximieren.

In diesem Artikel möchten wir auf Discrete-Choice-Modelle eingehen, die ebenfalls in der Marketing-Analyse und -Modellierung verwendet werden. Stimmt die Datengrundlage, erlauben Discrete-Choice-Modelle ein besseres Verständnis für das Entscheidungsverhalten von Kunden zu entwickeln. Dieses Verständnis kann dazu genutzt werden, präzise Vorhersagen zu Kaufentscheidungen zu treffen und zu evaluieren, wie Kunden Werbeangebote, Produktbotschaften oder Markenstrategien aufnehmen und neue Produkte oder verbesserte Produktfeatures einschätzen. Außerdem lassen sich Sensitivitäten gegenüber Preisveränderungen oder Werbemaßnahmen evaluieren sowie veränderte Nachfragen abbilden. Möchten Sie neue Produkte oder Angebote in Ihr Portfolio aufnehmen, können Discrete-Choice-Modelle dabei helfen, Produktmerkmale zu identifizieren, die das Potential haben, die Nachfrage nach den Produkten zu erhöhen. Zusätzlich lassen sich Konkurrenzprodukte identifizieren.

Was sind Discrete-Choice-Modelle?

Discrete-Choice-Modelle gehören zu den Choice-Modellen, einer Familie von statistischen Techniken, die es erlauben, eine optimale Kombination von (Marketing-)Einflussgrößen (Variablen) zu bestimmen. Choice-Modelle bedienen sich der Tatsache, dass Konsumenten Entscheidungen treffen, wenn sie sich für oder gegen den Kauf von Produkten oder Dienstleistungen entscheiden. Aus Informationen zu diesen Entscheidungen werden modellbasiert Informationen über die Kundenvorlieben sowie die Effektivität des Marketings abgeleitet. Zu den Marketing-Einflussgrößen zählen sämtliche Größen, die verändert werden können, um die Effektivität des Marketings und der Werbung zu erhöhen (zum Beispiel: Preis, Verpackung, Positionierung der Marke, Kommunikation, Werbung). Neben Discrete-Choice-Modellen gibt es sowohl verwandte Verfahren wie Conjoint- oder Tradeoff-Analysen, als auch fortgeschrittene Varianten, die sehr komplexe Entscheidungssituationen abbilden können. Auf technische und methodische Details werden wir im zweiten Teil unserer Serie zu Discrete-Choice-Modellen eingehen.

Wie funktionieren Discrete-Choice-Modelle?

Discrete-Choice-Modelle dienen der Modellierung von Auswahlentscheidungen (zum Beispiel Kauf/Nichtkauf eines Produkts, Inanspruchnahme eines Services, Wahl einer Marke) aus Alternativen, für die sich die Kunden entscheiden können. Die unterschiedlichen Alternativen jeder Entscheidung sind durch verschiedene (produktspezifische) Attribute charakterisiert, die für die Kunden bei ihrer Kaufentscheidung eine unterschiedlich starke Rolle spielen. Ein relevantes Attribut ist zum Beispiel der Preis. Ein Discrete-Choice-Modell erlaubt es, den Einfluss von Preisänderungen auf die Nachfrage der Kunden nach den Produktalternativen abzubilden. Darüber hinaus erlaubt ein Discrete-Choice-Modell den Einfluss von Marketinginstrumenten zu identifizieren. Verfügbare Marketinginstrumente unterscheiden sich je nach Branche, umfassen jedoch in der Regel Preise, Werbung, Handelspromotions, Verbraucherwerbung wie Coupons und Gewinnspiele, In-Store-Merchandising oder längerfristige Entscheidungen, wie z.B. Sortimentsbreite und -tiefe. Discrete-Choice-Modelle ermitteln den Einfluss dieser Variablen auf die Auswahlentscheidung. Zusätzlich erlauben es Discrete-Choice-Modelle kundenspezifische Informationen wie Alter oder Geschlecht in der Modellierung zu berücksichtigen und damit kunden- bzw. gruppenspezifische Analysen durchzuführen.

Welche Daten brauche ich für Discrete-Choice-Modelle?

Konsumentenentscheidungen bzw. -präferenzen werden klassischerweise in Choice-Experimenten untersucht. Angenommen, das Ziel besteht in der Optimierung eines Produktdesigns. Dann kommen hierzu im Normalfall eine Reihe von unterschiedlichen Größen, Formaten, Labeln, Beschriftungen und Preisen in Betracht. Um zu evaluieren, welche Kombination an Möglichkeiten am besten ist, können Stated-Preference-Befragungen durchgeführt werden. In dieser klassischen Methode werden potentielle Kunden befragt, welches Produkt aus einer Reihe von Möglichkeiten sie bevorzugen, und ob sie das präferierte Produkt kaufen würden. Dies wird zunehmend in Online-Surveys gemacht. Stated-Preference-Befragungen konfrontieren die Befragten mit hypothetischen Märkten, in denen Präferenzen ausgedrückt werden müssen. Daneben gibt es Befragungen zu tatsächlichen (anstatt hypothetischen) Präferenzen (Revealed-Preference-Befragungen). Hier wird versucht, die Vorlieben von Konsumenten offenzulegen, die einen Kauf bereits abgeschlossen haben.

Im Zeitalter von Big Data liegen nun auch ohne explizite Befragungen immer öfter Daten zu Wahlsituationen vor, die mit Discrete-Choice-Modellen analysiert werden können. Insbesondere können aus Sales-Daten Rückschlüsse auf Präferenzen sowie Effekte von Marketing gezogen werden, wenn gleichzeitig das vorhandene Angebot evaluiert wird, das die verfügbaren Alternativ-Produkte zu einem Kauf darstellt. Testen lassen sich die aus einer Discrete-Choice-Modellierung abgeleiteten Marketingempfehlungen mit A/B-Tests, die im Anschluss durchgeführt werden können.

Welche statistischen Verfahren werden bei der Discrete-Choice-Modellierung verwendet?

Aus dem Bereich der Discrete-Choice-Modelle dient das multinomiale logistische Regressionsmodell (abgekürzt: MNL-Modell) als das Standard-Verfahren. Es ist aufgrund seiner attraktiven Eigenschaften in Bezug auf eine rigorose Einbettung in ökonomische Theorie oftmals der Ausgangspunkt der Modellierung von Auswahlentscheidungen. Ein MNL-Modell erlaubt es, die folgenden Informationen zu generieren:

  • Durchschnittlicher Nutzen der Alternativen für die Konsumenten.
  • Einsicht in Markenloyalität.
  • Sensitivitäten der Nutzer gegenüber Preisveränderungen (Zahlungsbereitschaft) bzw. Marketing-Mix. Dies drückt man über Elastizitäten bzw. Cross-Elastizitäten aus (d.h. man bestimmt die Effekte prozentualer Änderungen auf die Zielgrößen).
  • Modellgestützte Prognosen für Veränderungen in den Kovariaten bzw. Einführung neuer Alternativen.

Auf fortgeschrittene Varianten, die für die Praxis allesamt relevant sind, werden wir im zweiten Teil unserer Serie zu Discrete-Choice-Modellen eingehen.

Beispiel

Ein Standardbeispiel zum Nutzen von Discrete-Choice-Modellen im Marketing ist die Untersuchung des Cracker-Datensatzes von Jain et al. 1994. Der Datensatz enthält Informationen zu 136 Konsumenten, die die Wahl zwischen vier Kekssorten (drei bekannte Marken und eine Eigenmarke) haben. Jeder Konsument tätigt dabei zwischen 14 und 77 Käufe, zu denen die verfügbaren Alternativen bekannt sind. Zu jedem Kauf stehen Informationen zum Preis sowie zu unterschiedlichen Marketingaktivitäten zur Verfügung. Da diese Größen im Rahmen des Marketings beeinflusst werden können, ist es möglich die Ergebnisse einer Discrete-Choice-Modellierung für zukünftiges Marketing zu berücksichtigen und dieses dadurch zu optimieren. Auch Informationen über die Markenloyalität lassen sich aus den Daten herausarbeiten, da das Kaufverhalten der Kunden über die Zeit beobachtet wurde. Durch Schätzung eines einfachen MNL-Modells lassen sich Nutzen, Sensitivitäten und Loyalität quantifizieren und Prognosen für zukünftiges Kaufverhalten aufgrund veränderter Marketingmaßnahmen abgeben.

Weitere Details finden sich in dem ausführlichen Review von Elshiewy et al. 2017, der einen Überblick über verschiedene Ansätze zur Modellierung der Keksdaten gibt. Der Artikel zeigt konkrete Einsatzmöglichkeiten der Discrete-Choice-Modellierung im Marketing auf. Außerdem stellen die Autoren den R-Code ihrer Modellierung zur Verfügung. Wir haben die von Elshiewy et al. 2017 dargestellten Modellierungsansätze reproduziert und dazu das Statistik-Framework Stan verwendet1. Wesentliche Ergebnisse der statistischen Analyse sind:.html

  1. Losgelöst von Preis, Werbung und Markenloyalität generieren zwei der drei Marken im Durchschnitt für die Kunden größeren Nutzen als die Eigenmarke, was durch überdurchschnittlich viele Käufe manifestiert ist. Der Nutzen der dritten Marke unterscheidet sich hingegen nicht signifikant vom Nutzen der Eigenmarke.
  2. Die Kunden erfahren größeren Nutzen durch geringere Preise. Eine Senkung des Preises erhöht damit die Kaufwahrscheinlichkeit für eine der vier Marken.
  3. Verwendung von Werbung erhöht im Durchschnitt die Kaufwahrscheinlichkeit der Marken. Es kann bestimmt werden, welche der verwendeten Werbemaßnahmen die Kaufwahrscheinlichkeit am meisten erhöht.
  4. Die Konsumer entscheiden sich tendenziell eher für Marken, für die sich sich auch beim vorherigen Kauf entschieden haben, sind also im Durchschnitt markenloyal.
  5. Die Konsumenten sind gegenüber der Eigenmarke weniger preissensitiv, als gegenüber den anderen Marken (Analyse der Elastizitäten). Daneben zeigt eine Analyse der sogenannten Cross-Elastizitäten, wie sich die Wahrscheinlichkeit für die Wahl einer Marke ändert, wenn der Preis einer anderen Marke reduziert wird.

Fazit

Das obige Beispiel illustriert, dass durch Discrete-Choice-Modelle komplexes Kaufverhalten besser verstanden werden kann. Darüber hinaus ermöglicht der Ansatz die Effektivität von Werbemaßnahmen zu quantifizieren und modellgestützt Prognosen abzugeben. Bei der Discrete-Choice-Modellierung gilt das MNL-Modell als Benchmark-Ansatz, weist jedoch eine Reihe von Limitationen auf, die dazu führen, dass in der Praxis fortgeschrittenere Verfahren zum Einsatz kommen sollten. Beispielsweise führt eine spezifische Eigenschaft des Modells (die sogenannte IIA-Annahme) dazu, dass die unter Punkt 5. berechneten Cross-Elastizitäten konstant zwischen den Alternativen sind. Dies hat zur Folge, dass die Basismodellierung unterstellt, dass bei Preissenkungen von einer Marke die Kaufwahrscheinlichkeit für die anderen Marken proportional steigen. In der Praxis ist diese Annahme jedoch unplausibel, wenn manche Marken ähnlicher zueinander sind als andere (zum Beispiel sind zwei Luxusmarken ähnlicher zueinander als eine Luxusmarke und eine Sportmarke). Zudem ist ein MNL-Modell nicht in der Lage, unbeobachtete Effekte in wiederholten Auswahlentscheidungen sowie zwischen Käufern zu berücksichtigen. Hieraus resultiert das Problem, dass die Heterogenität zwischen Kunden in einem MNL-Modell für die Praxis häufig noch nicht ausreichend berücksichtigt ist. Wir gehen auf Erweiterungen des Modells im zweiten Teil unserer Serie zu Discrete-Choice-Modellen ein.


1 Erweiterungen des grundlegenden MNL-Ansatzes mittels Stan werden wir im zweiten Teil dieser Artikelserie diskutieren.

Literatur

Weitere Teile der Artikelreihe:

by Jan Blechschmidt

Verstehen wie unsere Kunden Kauf­entscheidungen treffen Discrete-Choice-Modelle mit RStan

by Sebastian Cattes

Marketing Mix Modeling - Wie wirkt Werbung wirklich?