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Bundestagswahl 2017: Die Würfel sind gefallen

Seit März 2017 veröffentlichen wir in unserem Blog regelmäßig Prognosen zur Bundestagswahl 2017. Unser Prognosemodell basiert auf den Ergebnissen der Umfrageinstitute, welche es gewichtet und zusammenfasst. Dabei stützen wir uns sowohl auf aktuelle als auch historische Umfrageergebnisse. In Abgrenzung zu der gängigen Sonntagsfrage, die eine Aussage zum Ergebnis einer Wahl am kommenden Sonntag trifft, prognostizieren wir die Stimmanteile der Parteien zum Zeitpunkt der Bundestagswahl. Weiterhin geben wir explizit so genannte Unsicherheitsintervalle an. Basierend auf einer Simulation der Zusammensetzung des Bundestages, berechnen wir Wahrscheinlichkeiten für Ereignisse, wie das Zustandekommen einer bestimmten Koalition oder bspw. den Einzug der FDP in den Bundestag. Vergangen Sonntag, am 24. September 2017 fand die Wahl zum 19. Deutschen Bundestag statt. Wir wollen im Folgenden unsere Prognose anhand der tatsächlichen Wahlergebnisse bewerten.

Das vorläufige Endergebnis der Bundestagswahl 2017: Die CDU/CSU 32,9 %, die SPD 20,5 %, die AFD 12,6 %, Grüne 8,9 %, Linke 9,2 % und FDP 10,7%. Überraschend ist das schwache Abschneiden beider Volksparteien. Insbesondere die SPD, welche im Frühling dieses Jahres auf Umfragewerte von 30% und mehr kam, hat in den letzten Wochen und Monaten stark an Wählerzustimmung verloren. Und dennoch konnte unser Prognosemodell, welches mittels „Poll Pooling“ die Umfrageergebnisse der Umfrageinstitute gewichtet, zusammenfasst und mit Unsicherheitsbändern versieht, die Tendenz der Stimmenverteilung bereits früh prognostizieren. Insbesondere wurde vom Modell korrekt prognostiziert, dass der Schulz-Effekt keinen Bestand haben wird.

Schulz Hype bis zur Bundestagswahl wie vorhergesagt verpufft

Noch während des Hypes um Martin Schulz im März 2017 haben wir in unseren Prognosen die Euphorie als kurzfristigen Trend erkannt und das Ergebnis der SPD mit knapp 28 % vorhergesagt (siehe den Artikel der Welt vom 31.3.2017). Diese knapp 28% weichen heute mit 7 Prozentpunkten vom tatsächlichen Wahlergebnis ab. Es bleibt jedoch zu beachten, dass im März der zeitliche Abstand zur Bundestagswahl mit einem halben Jahr noch groß war. Des Weiteren lagen die Umfrageergebnisse zum Stimmanteil der SPD der renommierten Meinungsforschungsinstitute Allensbach, Emnid, Forsa, Forschungsgruppe Wahlen, GMS, Infratest dimap und INSA im gleichen Zeitraum ausschließlich bei über 30%. Die Umfragen sahen somit zeitweilig die CDU/CSU und die SPD gleich auf (siehe https://www.wahlrecht.de/umfragen/index.htm).

Die Eigenschaft des Wahlprognosemodells, kurzfristige Trends bei langen Prognosehorizonten geringer zu gewichten als mittel- bis langfristige Trends hat sich somit ausgezahlt.

Prognose für das Wahlergebnis der Bundestagswahl besser als etablierte Umfrageinstitute

Die Ergebnisse der Bundestagswahl am 24. September 2017 stehen fest. Dies gibt uns die Möglichkeit, retrospektiv - ab den ersten veröffentlichten Vorhersagen am 20.03.2017 – die Genauigkeit unseres Wahlprognosemodells zu bewerten. Parallel dazu berechnen wir die Genauigkeit der Umfrageinstitute zum Zeitpunkt jeder einzelnen Umfrage, immer im Vergleich zum tatsächlichen Wahlergebnis.

Zum Zeitpunkt unserer ersten Prognose am 20.03.2017 haben wir beispielsweise die folgenden Werte prognostiziert:

CDU/CSU 35.1 %, die SPD 27,6%, die AFD 9,1 %, Grüne 9,4%, Linke 8,4 %, FDP 5,6 %

Die zu diesem Zeitpunkt aktuellste Prognose eines Umfrageinstituts stammt von INSA, ebenfalls vom 20.03.:

CDU/CSU 31 %, die SPD 32%, die AFD 11,5 %, Grüne 6,5%, Linke 8,5 %, FDP 6,5 %

Um diese Prognosen mit dem tatsächlichen Wahlergebnis zu vergleichen, gibt es zwei gängige Maße zur Beurteilung eines Prognosefehlers. Zum einen den leicht verständlichen mittleren absoluten Fehler. Zum anderen die Quadratwurzel des mittleren quadratischen Fehlers (Abk. RMSE – „Root Mean Square Error“), welcher das gängigste statistische Maß zur Beurteilung der Prognosegüte ist und große Abweichungen deutlich stärker bestraft.

Vergleicht man nun die Prognosen vom 20.03.2017 mit den tatsächlichen Wahlergebnissen, so ergibt sich für unsere Prognose eine mittlere Abweichung von 3.2 Prozentpunkten, während die Vergleichsprognose von INSA eine Abweichung von gut 3.6 Prozentpunkten aufweist. Somit stellt unsere Prognose im Vergleich zu den Umfrageergebnissen eine Verbesserung von über 11% dar. Betrachtet man den RMSE, so beträgt die Verbesserung sogar 23%.

Da die Betrachtung eines einzelnen Zeitpunkts jedoch nicht ausreicht, um die Gesamtqualität der Umfragen und Prognose zu bewerten, berechnen wir die Gesamtgenauigkeit aggregiert über den gesamten Zeitraum bis zur Wahl. Wir vergleichen unsere Prognose jeweils mit der aktuellsten Institutsprognose sowie dem Mittel der aktuellsten fünf Prognosen.

Das Ergebnis ist in folgender Tabelle dargestellt:

 INWT-PrognoseAktuellste PrognoseMittel der 5 aktuellsten Prognosen
Mittlerer absoluter Fehler2.91%3.10%3.07%
RMSE3.54%3.86%3.88%

Je nach Vergleichskriterium und Vergleichsmaßstab waren unsere Prognosen im Mittel zwischen 5 und 9 Prozent genauer als die Umfrageinstitute. Dies ist durchaus bemerkenswert, da unsere Methode ausschließlich aktuelle und historische Umfragewerte verwendet. Spannender als möglichst genaue Punktprognosen zu den einzelnen Stimmanteilen der Parteien sind aus unserer Sicht allerdings Aussagen zu Wahrscheinlichkeiten bestimmter Ereignisse, wie rechnerische Koalitionsmehrheiten. Diese Bestimmung der Wahrscheinlichkeiten ist mit unserem Modell möglich.

Rechnerische Mehrheit für die Große Koalition schon lange sicher

Im neu gewählten Bundestag besitzen die folgenden Koalitionen eine rechnerische Mehrheit: Die „GroKo“ (Schwarz-Rot) mit 399 sowie „Jamaika“ (Schwarz-Grün-Gelb) mit 393 Sitzen von insgesamt 709 Sitzen. Schwarz-Gelb erhält gemeinsam lediglich 326 von nötigen 355 Sitzen, Schwarz-Grün schafft es nur auf 313 Sitze, die Ampelkoalition (Rot-Gelb-Grün) auf 300 Sitze, Rot-Rot-Grün auf 289 Sitze und Rot-Grün auf 220 Sitze. Abseits der GroKo und Jamaika sind die übrigen Koalitionen weit entfernt von einer rechnerischen Mehrheit im Bundestag.

Die Folgende Grafik zeigt die Wahrscheinlichkeit für eine rechnerische Mehrheit der unterschiedlichen Koalitionen im Zeitverlauf.

Wahrscheinlichkeit für Jamaika steigt auf 15,2%

Auf unserem Blog haben wir die Prognosen unseres Wahlprognosemodells mit einer Expertenumfrage von Politikberatern der de’ge’pol kombiniert um ein realistisches Bild der Koalitionswahrscheinlichkeiten nach der Bundestagswahl 2017 zu erhalten. Nun, da die Bundestagswahlergebnisse feststehen, haben wir die Ergebnisse für Sie aktualisiert und in der folgenden Tabelle zusammengefasst:

JamaikaGroße Koalition
15.2%84.8%

Anzumerken ist jedoch, dass die Expertenumfrage vor mehr als drei Monaten durchgeführt wurde. Insbesondere nach der Aussage, dass die SPD in die Opposition möchte, würde das Ergebnis etwas anders ausfallen. Andererseits sollte man nicht mit absoluter Sicherheit davon ausgehen, dass eine Jamaika-Koalition angesichts inhaltlicher Differenzen der beteiligten Parteien wirklich zustande kommen wird und die SPD wirklich bei Ihrem Nein zur großen Koalition bleibt.

Verbesserungspotential

Die Genauigkeit unseres Prognosemodells zeigt, dass wir mit unserem Ansatz der Modellierung zufrieden sein können. Die Abweichungen unserer Prognose von den tatsächlichen Wahlergebnissen lassen sich hauptsächlich durch so genannte Spätentscheider erklären und auch durch Personen, die in den Umfragen zwar eine Parteipräferenz angegeben, dann aber nicht gewählt haben. Außerdem ist die Bundestagswahl 2017 ein einzigartiges Ereignis und Prognosen treffen nun mal nur mit gewissen Wahrscheinlichkeiten zu. Verbesserungspotential liegt jedoch in der Wahl der Unsicherheitsintervalle. Da die Zustimmung der Wähler über die Zeit hinweg zwischen den Parteien unterschiedlich stark schwankt, sollten diese Unterschiede zwischen den Parteien berücksichtigt werden. Beispielsweise schwankte die AfD während des Wahlkampfs deutlich stärker in der Wählergunst als etwa die Linkspartei, was in der Berechnung der Unsicherheitsintervalle berücksichtigt werden sollte. Außerdem würden wir aus heutiger Sicht 90%-Intervalle (statt der verwendeten 80%-Intervalle) berechnen und kommunizieren. Es ist naturgemäß nicht möglich Intervalle anzugeben, innerhalb derer eine Partei sicher liegen wird. Bei 6 Parteien und Unsicherheitsintervallen von 80%, würde man allerdings erwarten, dass die Stimmanteile von 1-2 Parteien (rechne etwa 6 * 20%) außerhalb der prognostizierten Intervalle liegen. Dies erscheint uns retrospektiv etwas zu viel.

Wie geht es weiter?

Es ist uns viel daran gelegen das Verständnis von Prognosen als das was sie wirklich sind, nämlich Wahrscheinlichkeitsaussagen, zu fördern. Prognosen beeinflussen den politischen Diskurs im Vorfeld von Wahlen maßgeblich und bergen sogar das Potential wahlentscheidend zu sein. Daher sollten sie richtig verstanden werden.

Als politisch interessiertes Team war es für uns sehr spannend die Debatte im Vorfeld der Bundestagswahl 2017 aktiv mitzugestalten. Wir freuen uns auf zukünftige Gelegenheiten mit unserer Expertise in Predictive Analytics Themen des gesellschaftlichen und politischen Lebens zu analysieren und am Diskurs darüber teilzunehmen.